Die Geschichte eines Entschlusses
Das erste Mal hörte ich Anfang der 80er von der Möglichkeit, sich als Mann sterilisieren zu lassen. Ich war etwa 20 Jahre alt war. Wir saßen in einem Auto, waren unterwegs, um in einem deutschen Bundesland endlich einen Landesverband der Grünen auf die Beine zu stellen. Zwei junge Kerle und ein Typ, vielleicht Ende 30. Er schwärmte uns von seiner Sterilisierung vor: Er habe bereits Kinder und könne nun folgenlos durch die Gegend vögeln. Der Eingriff wäre einfach gewesen, nur die Menge des Ejakulats hätte sich ein wenig verringert. Ansonsten würde er seine neue Freiheit genießen. HIV war damals noch kein Thema.
Nachdem er sich als professioneller Flachleger dargestellt hatte, lästerte er noch massiv über Schwule. Mir war dieser Typ einfach unsympathisch, obwohl wir für dieselbe gute Sache kämpften. Und so verband ich den Gedanken an das Thema Sterilisierung stets mit diesem unangenehmen Menschen.
Doch da war noch mehr, was mir Angst einflößte. Sollte ich wirklich jemanden mit etwas Scharfem an mein bestes Stück lassen? Kastrationsängste? Und überhaupt, konnte ich mir denn heutzutage sicher sein, wann meine Familienplanung wirklich abgeschlossen war? Man wähnt sich in einer stabilen Beziehung und dann ist man plötzlich Single, findet eine um Jahre jüngere Frau, die sich nichts mehr wünscht als ein Kind. Und bereit ist, wegen einer Sterilisierung eine Beziehung zu beenden und sich jemanden zu suchen, der ihr ihren Herzenswunsch erfüllen kann.
Lange Jahre lebte ich in Beziehung mit einer Frau, die unfruchtbar war. Zeugung war also dann Thema. Dann plötzlich Singe und innerhalb eines Jahres von drei Frauen die Frage: Bist du sterilisiert? Und die enttäuschten Gesichter, wenn ich verneinte. Es führte stets dazu, sich Gedanken über das Thema Verhütung machen zu müssen. Pille? Nervte mich aufgrund der Nebenwirkungen. Kondom? Von wegen gefühlsecht, lediglich der Aspekt, damit sexuell übertragbare Krankheiten vermeiden zu können, war zusätzlich relevant. Alles andere taugte nicht wirklich oder war zu aufwändig. Sollte ich mich also vielleicht doch sterilisieren lassen?
Ich dachte nach. Und entschied mich, dass zwei Kinder genug seien. Zumal in Zeiten ungewisser Beziehungen noch höhere Unterhaltszahlungen dazu führen würden, dass ich finanziell ganz schlecht da stehen würde. Also den Schritt wagen? Da waren noch jene irrationalen Ängste.
Ich unterhielt mich mit einem Paar, wo der Mann einige Jahre zuvor den Schritt gewagt hatte. Die Frau erzählte mir, dass sie sich seitdem im Bett erst richtig fallen lassen könne. Vorher hätte es immer eine Unsicherheit gegeben. Die Möglichkeit einer Schwangerschaft als Lustbremse. Jetzt könne sie Sex viel mehr genießen.
Dieser Aspekt war mir neu. Eine völlig unbekannte Sichtweise, über die mir noch keine Frau berichtet hatte. Genau in diesem Moment fiel die Entscheidung: Ich tue es. Ein kleiner Schnitt für einen Mann, aber eine große Erleichterung für die Frau. Nie wieder Nebenwirkungen von Pillen (zu denen manche Frauen einfach aus Sicherheitsgründen greifen wollten). Nie wieder das trennende Gefühl beim Kondom (außer vielleicht bei Erstkontakten). Und interessanterweise fiel kurz darauf auch die Entscheidung für eine Frau in meinem Leben.
Dass diese Routine-OP dann allerdings zu einem Drama werden und mich fast das Leben kosten würde, konnte ich damals nicht wissen. Mehr zur Sterilisierung im Krankenhaus samt Anästhesie im nächsten Blogeintrag.
Sterilisierung beim Mann – OP und Folgen
Nach „Sterilisierung beim Mann – Die Geschichte eines Entschlusses“ wird es Zeit, den zweiten Teil des Ganzen zu veröffentlichen. Wie ging es weiter?
Ein Bekannter empfahl mir das Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main – er hätte hier super Erfahrungen gemacht bei seiner Sterilisierung. Die Urologie steht unter der Leitung von Chefarzt Prof. Dr. med. Michael Sohn. Alle Untersuchungen verliefen problemlos. Die Familienplanung abgeschlossen, zwei Kinder, auf die 50 zugehend, in fester Beziehung lebend. Alle psychosozialen Aspekte sprachen für die Sterilisierung.
Dann zum Anästhesisten. Nichts gegen diesen Arzt, aber er wirkte auf mich, als sei er sein bester Kunde. Ausgezehrt, dunkle Ringe unter den Augen, eine Ausstrahlung, die mich an eine Mischung aus Dracula und das Klientel aus meiner Zeit als Drogenberater erinnerte. Vielleicht auch nur überarbeitet. Ich wollte also einen Eingriff unter Lokalanästhesie? Davon würde er abraten. Besser Vollnarkose. Dies ließe sich heutzutage genau timen. Auch bei der lokalen Betäubung würde ich sicherlich Schmerzen haben. Deshalb besser eine kurze Vollnarkose – dann könnten die Ärzte auch besser arbeiten. Nach einigem Schwanken ließ ich mich darauf ein und er informierte mich über mein notwendigen Vorbereitungen.
Am Abend vor der OP um 18 Uhr das letzte Essen. Kein Wein zum Abendessen, da darauf hingewiesen worden war, Alkohol zu vermeiden. Stattdessen zwei Gläser Orangensaft. Komplettrasur im Intimbereich. Morgens früh raus und meine Gefährtin fuhr mich ins Markus Krankenhaus.
Langes Rumgesuche nach der richtigen Station. Bett bezogen und nochmal nachrasiert. Strapse angezogen. Ich alberte mit meiner Freundin rum, sah einfach zum Schießen aus mit den Kompressionsstrümpfen und der Netz-Unterhose. Eine Schwester brachte mir eine Pille, zum Beruhigen vor der OP. So etwas hatte ich noch nie. Sollte ich es wirklich nehmen? Okay. Bald danach wurde mir schummrig, etwas seltsam im Bauch.
Zwei Schwestern holten mich ab. Durch Gänge, in den Aufzug. Im OP erfuhren sie, dass die Operation an anderer Stelle stattfinden würde. Wieder in den Aufzug, wieder Gänge. Irgendwo abgestellt. Dann die Anästhesistin. Braunüle gelegt. Spritze angesetzt. „Jetzt werden sie schlafen“. Wumm, und weg.
Irgendjemand ruft mich. Ich brauche Jahre, um zu mir zu kommen. Irgendjemand frägt mich irgendwas. Vermutlich ob ich wach bin und ich brabble irgendetwas zustimmendes – völlig weggespact. Kriege dann mit, dass etwas schief gegangen ist. Mein Gott, die Urangst Kastration wird wach. Und ich auch.
Ich hätte erbrochen, direkt nach Einleitung der Narkose, wäre fast daran erstickt. Die Ärztin hofft, alles abgesaugt zu haben. Ist sich aber nicht sicher. Pneumonie droht. Statt der geplanten ambulanten OP müsse ich nun dableiben. Zurück ins Zimmer. Frau hat sich Sorgen gemacht, ich war lange weg, viel länger als geplant. Meine Freundin fährt, die Kinder brauchen sie zu Hause.
Der Oberarzt kommt. Staucht mich zusammen. Wieso ich heute morgen entgegen der Absprachen gefrühstückt hätte. Habe ich nicht, beteure ich. Blödsinn, die Anästhesistin hätte mich doch direkt nach dem Aufwachen gefragt und ich hätte ja gesagt. Ich bestehe darauf, das letzte sei mein Abendessen um 18 Uhr des Vortages gewesen. Nein, ich hätte gestanden und in diesen Momenten beim Aufwachen aus der Narkose könne man nicht lügen. Hätte den ganzen OP mit einem halben Liter Orangensaft vollgekotzt und den Zeitplan durcheinandergebracht.
Ich merke: Der Typ hat Schiss. Sie haben Mist gebaut. Wollen mir den schwarzen Peter zuschieben, haben vielleicht mitbekommen, dass meine Frau Anwältin ist. Wenn er gesagt hätte: Hey, sie hätten am Vorabend besser keinen O-Saft getrunken, sorry, wir vergaßen sie darauf hinzuweisen. Kein Problem. Aber so bleiben Fragen zurück. Betäubung zu hoch dosiert? Ich weiß es nicht. Aber das Wort „Kunstfehler“ geht mir durch den Kopf. Und ich werde garantiert in keiner Statistik auftauchen – wie so viele…
Stattdessen jagt er mir Angst ein. Erzählt locker leicht, dass ich hierbleiben müsse. Wenn ich morgen noch leben würde, wäre alles okay. Ich fasse es nicht. Ein „kleiner chirurgischer Eingriff“ und jetzt redet der Typ in Weiß vom Sensemann.
Ich halte mich wach. Immer mal kommt eine Schwester und kontrolliert den Blutdruck. Zwischendrin schlafe ich ein. Dann geht die Sonne auf. Ich lebe…
Der Arzt am Samstag ist nett und ohne Drohgebährden. Gegen Mittag kommt meine Freundin und holt mich ab. Ich konnte pinkeln, zumindest dies geht. Aber der Genitalbereich ist dick und schmerzt wie Sau. Langsam ziehe ich mich mit ihrer Hilfe an. Verlasse breitbeinig wie John Wayne das Krankenhaus. Im Kopf nur eine Frage: Wird „es“ noch funktionieren? Oder sterb ich jetzt gar an Samenembolie 😉 ?
[…] Sterilisierung beim Mann – Die Geschichte eines Entschlusses wird es Zeit, den zweiten Teil des Ganzen zu veröffentlichen. An jener Stelle war die […]
Manche verbinden einen solchen Eingriff auch mit der Vorstellung kastrierter Kater: Wie mann dann träge und dick werden kann. Ich glaube, das spukt in den Köpfen mancher Männer herum.
Das scheint mir einen großen Fehler zu sein. Was wird ein Mann tun, wenn er eines Tages Kinder wünscht?
Ich überlege, mich sterilisieren zu lassen. Meine Frau und ich haben jetzt drei Kinder, und wir denken, das ist genug. Ich verstehe, dass Sie Angst davor hatten, ich habe selbst auch Angst davor. Dennoch denke ich, dass alles ok sein wird.